TDF-Kampagne

Fünf Gründe, warum "Schaust Du hin?" wichtig ist

(2015/03) Am Frauentag startete Terre des Femmes ihre neue Kampagne gegen häusliche Gewalt: „Schaust Du hin?“ fragen Prominente in einem Videoclip, in dem Menschen am Ende symbolisch ihre Augenbinden abnehmen. Manche sagen: Alles schön und gut, aber was nutzt das Hinsehen, wenn Betroffene am Ende doch immer wieder zum Täter zurückkehren? Eine wichtige Frage, finden wir. Wir haben fünf Antworten darauf.

1. Symbolkraft

Die Kampagne "Schaust Du hin?" wurde von Terre des Femmes im Rahmen eines Symposiums im Schloss Bellevue eröffnet. Gemeinsam mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck. Das ist derselbe Präsident, der noch vor zwei Jahren im Fahrwasser der #Aufschrei-Debatte keine „besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen“ feststellen wollte. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass der formal erste Mann im Staat seine Meinung revidiert hat und nun eindeutig positioniert ist – gegen Gewalt. Indem er sein Haus und seine Person dem Thema Frauenrechte zur Verfügung stellt, sendet er, der Repräsentant deutscher Politik, ein klares Zeichen: Die alltägliche Gewalt gegen Frauen in Deutschland wird ernst genommen. Und geächtet. Die Bedeutung solcher Gesten ist nicht zu unterschätzen in einer Zeit, in der allein in Berlin innerhalb von sechs Wochen drei Frauen im Rahmen häuslicher Gewalt getötet wurden, weit über 30.000 Frauen und Kinder pro Jahr Zuflucht in einem Frauenhaus suchen und die Polizei in der Hauptstadt über 40 Mal täglich zu einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt gerufen wird.

2. Sichtbarkeit

Und damit nicht genug: Im Video beziehen Prominente klar Position gegen häusliche Gewalt. Das gibt dem Thema zusätzlich Gewicht – und eine Plattform. Sind Promis mit an Bord, haben alle Arten von Medien einen Grund, das Thema aufzugreifen. Das Ergebnis? Häusliche Gewalt in den Kommentarspalten, den Nachrichtensendungen, den vermischten Seiten – aber auch in den Sozialen Netzwerken, dem zeitgenössischen Äquivalent von Schulhofpausentratsch und Büroschnack. Plötzlich reden wir alle über das, was normalerweise hinter geschlossenen Türen passiert, was wir lieber nicht ansprechen, und worüber Journalist/-innen in der Regel nicht berichten, solange kein Gedenktag ansteht oder mal wieder eine Frau besonders brutal vom Partner getötet wurde. Die Kampagne kann erreichen, dass viel mehr Menschen mit den harten Fakten in Berührung kommen: Häusliche Gewalt ist nicht das traurige Schicksal Einzelner. Sie ist Alltag jeder vierten Frau in Deutschland. Sie ist sogar schon für kleine Mädchen Normalität. Sie geht uns alle etwas an.

3. Vorbildfunktion

Und was bringt das jetzt? Viel. Prominente – ob Schauspieler/-innen oder Politiker/-innen – können eine Vorbildfunktion haben. Frauenrechte waren und sind ein Thema, bei dem manche Menschen Berührungsängste bekommen und Klischee über Klischee im Kopf haben. „Mit Frauenrechten will ich nichts zu schaffen haben – das sind doch alles so komische Kampfweiber…Gewalt zu Hause passiert doch auch nur so bestimmten Frauen...außerdem geht mich doch die Beziehung von anderen nichts an…“ Die Kampagne räumt mit diesen und anderen Vorurteilen auf und ruft dazu auf, auf seine Mitmenschen Acht zu geben. Darum geht es im Kern: Menschen zum Helfen zu bewegen. Die Kampagne will darin bestärken, dass wir unser Bauchgefühl bei der verunsichert wirkenden Kollegin ernst nehmen, dass wir unsere Freundin ansprechen, wenn wir einen Verdacht haben, und nicht weghören, wenn es in der Nachbarwohnung mal wieder verdächtig kracht und scheppert. (Wie das im Einzelnen gehen kann, dazu gibt es Infos hier). Denn das Hinschauen ist schon der erste Schritt zur Hilfe.

4. Hilfe

Und das ist der Punkt, an dem eine Kampagne ganz konkret Hilfe bietet. Das Video beginnt mit einer Frau, die allein gelassen ist in einer Menge von Fremden. Und die sich, das sieht man ihr deutlich an, danach sehnt, dass diese Menschen sie wahrnehmen, dass sie Kontakt findet zu anderen, dass sie nicht mehr auf sich allein gestellt ist. Damit erfasst die Kampagne zwei Zustände, die viele Betroffene erleben: Einsamkeit und Isolation. Häufig sorgen die Täter dafür, dass die Frauen sich von Familie und Freundschaften distanzieren, weil das die Kontrolle erleichtert („ich will nicht, dass deine Mutter ständig bei uns anruft. Du bist doch kein kleines Kind mehr“). Betroffene spielen dem manchmal sogar in die Hände, weil sie sich selbst zurückziehen – aus Angst vor dem Gesichtsverlust, sollte jemand etwas bemerken. Wenn das soziale Umfeld das hinnimmt – aus Unwissenheit oder Vorurteilen – dann sind Betroffene tatsächlich auf sich allein gestellt. Nur ein verschwindend geringer Anteil dieser Frauen wendet sich an helfende Institutionen wie die Polizei oder Beratungsstellen. Wenn man sie fragt, wem sie sich am ehesten anvertrauen (würden), dann sagen die meisten: meiner Freundin oder einem Familienmitglied. Die Reaktion dieser Menschen kann einen bedeutenden Einfluss darauf haben, wie lange Frauen brauchen, um sich aus der gewalttätigen Beziehung zu lösen. Kommt ein „Was hast Du denn gemacht, um ihn so zu provozieren!?“, kann das die Scham- und Schuldgefühle der Betroffenen verschlimmern und sie länger in der Beziehung halten. Schließlich müsste sie sich nur ändern, damit alles besser wird… Eine empathische, unterstützende Reaktion dagegen kann ihr zeigen: „Es ist nicht Deine Schuld. Ich bin da für Dich. Und es gibt Hilfe, z.B. hier...“ Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass möglichst viele Menschen möglichst viel über häusliche Gewalt wissen. Weil jede/r von uns einmal die Person sein kann, die für eine Freundin den Unterschied zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit ausmacht.

5. Ächtung

Es stimmt natürlich: Vom Hinschauen allein hört die Gewalt nicht auf. Sie wird erst dann ein Ende finden, wenn die Täter aufhören, sie auszuüben. Und auch hier leistet die Kampagne Wichtiges. Denn wer sich klar und deutlich gegen häusliche Gewalt ausspricht, der stärkt nicht nur diejenigen, die sie erleiden, sondern entzieht auch denen den Boden, die sie anwenden. Die Macht der Täter erwächst aus der Duldung – derjenigen, die ihre Gewalt über Jahre hinweg ertragen, aber vor allem auch derjenigen, die das Geschehen stillschweigend tolerieren. Man weiß inzwischen, dass Täter erst dann an sich arbeiten, wenn es einen Anreiz von außen gibt – z.B. drohende Sanktionen (mehr zur Täterarbeit). Solange Gewalt in Beziehungen heruntergespielt, gerechtfertigt oder ignoriert wird, können Täter sich im Recht fühlen. Auch deshalb war das Gewaltschutzgesetz von 2002 ein solcher Meilenstein: Es macht unmissverständlich klar, dass Gewalt auch in einer Beziehung eine Straftat bleibt, die der Gesetzgeber nicht länger hinnehmen wird. Und es gibt der Polizei die Handhabe, gegenüber Tätern häuslicher Gewalt deutliche Konsequenzen zu ziehen. Nur so merken diese, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist. Und wenn nun hochrangige Politiker, beliebte Schauspieler und die Freunde aus der Nachbarschaft Gewalt ächten, zeigt das: Häusliche Gewalt ist nicht mehr salonfähig. Und das wird auch Zeit.